Was braucht die Online-Gruppe?

Dies ist die sechste Episode von Staffel 2 in der Serie Didaktische Kleinigkeiten. Diesmal geht es um die Moderation einer Online-Gruppe. Zu diesem Post inspiriert wurde ich von den Teilnehmer*innen meines aktuellen E-Moderationskurses, die sich basierend auf ihrer Erfahrung im Kurs und in der Lehre mit der Frage „Was treibt den Gruppenprozess bzw. die Diskussion voran?“ auseinandersetzen. Wenn Sie weitere Episoden nicht verpassen möchten, abonnieren Sie diesen Blog!

Worum geht es?

Ich lerne seit ewiger Zeit in Online-Räumen und ich liebe das! Trotzdem fanden meine Workshops zum Erwerb von E-Learning Kompetenzen in den Neunziger Jahren ausschließlich in Präsenz-Workshops statt. Erst 2000 traute ich mich und entwickelte meinen ersten Online-Kurs zu einem Thema der E-Didaktik. Anhand von Inhalten, Aufgaben und Fragestellungen sollten sich die Teilnehmer*innen mit den Inhalten flexibel und zeitlich unabhängig, also asynchron, auseinandersetzen.

Dieser erste Online-Kurs fiel allerdings eher desaströs aus. Was waren die Erfolgskriterien für das Desaster?

  • Der „Online-Kurs“ startete mit einem Präsenz-Workshop, in dem alles Wichtige behandelt wurde. Für online blieben nur die „Mascherln“ übrig. Gut, dass diese Herangehensweise im Rahmen des Lockdown im heurigen Frühjahr nicht möglich war. So haben sich viele Lehrende und Trainer*innen diese Herangehensweise erspart.
  • Die Fragestellungen für die Teilnehmer*innen waren von der ersten bis zur vierten Woche gleich herausfordernd.
  • In meiner Rolle als Moderatorin investierte ich jede Woche gleich viel Zeit in die Betreuung meiner Online-Gruppe.

Wie lösen wir das Dilemma?

Nach diesem Desaster drückte mir eine Kollegin das Buch von Gilly Salmon zum Thema E-Moderation in die Hand. Ich las dieses Buch in einer Nacht aus. Einmal war es unterhaltsam geschrieben, und dann fand ich es faszinierend, wie Gilly die Entwicklung einer Online-Lerngruppe in fünf Stufen beschrieb. In ihrem nächsten Buch E-tivities erklärte sie auch noch ganz genau, wie Online-Aufgaben zu formulieren sind, damit sie zu Interaktion zwischen den TeilnehmerInnen führen.

Diese Konzepte und Ideen machten mich zu einem großen Fan von Gilly Salmon. Als sich die Möglichkeit bot, absolvierte ich die Ausbildung zur E-Moderatorin in dem von ihr entwickelten Online-Kurs und bin damit eine zertifizierte E-Moderatorin, die ihren Originalkurs anbieten darf.

Als Gilly nach vielen Jahren aus Australien nach Europa zurückkam – und die Reisekosten dadurch leistbar waren -, hielt sie die Keynote an unserem E-Learning Tag 2018 und beantwortete auch meine Fragen im Videointerview.

 How do you design learning? In the keynote you encouraged us to disrupt our understanding of learning, how should we do it? Many ideas about the future are scary, how can we deal with our fear and how can we support people?

Die Online-Gruppe

In ihrem 5-Stufenmodell beschreibt Gilly die Entwicklung der Online-Gruppe folgendermaßen:

  • Ankommen und Motivation: Dem Ankommen im Online-Raum muss große Aufmerksamkeit geschenkt werden und es ist die Verantwortung der Moderatorin, dass alle da sind.
  • Online-Sozialisierung: Anfangs sind die Aufgaben leicht und unterstützen das gegenseitige Kennenlernen. Die Moderatorin muss in dieser ersten Phase aushalten, dass einige TeilnehmerInnen nicht „tratschen“ möchten und herausfordernde Aufgaben bevorzugen würden.
  • Informationsaustausch: In dieser Phase kann das Wissen der Gruppe sichtbar gemacht werden. Die eigene Kompetenz einbringen zu können, stärkt die Gruppe und es kann Unerwartetes gelernt werden.
  • Gemeinsame Wissenskonstruktion: Anhand der in den ersten drei Stufen erarbeiteten Basis ist die Gruppe nun reif, gemeinsam Neues zu schaffen. Etwa Ideen aus der Informatik mit Ansätzen aus der sozialen Arbeit zu verbinden, oder einen Käse-Workshop in den Online-Raum zu transferieren.
  • Weiterentwicklung: Die Gruppe braucht die Moderatorin nicht mehr. Sie kann sich, wenn sie möchte, selbst organisieren, oder die einzelnen Teilnehmer*innen bringen das Erlernte in ihre eigene Umgebung.
Gilly Salmon’s 5 Stufenmodell

Tipps aus dem E-Moderationskurs

Doch welche Antworten gaben die TeilnehmerInnen aus meinen aktuellen E-Moderationskurs, wie die der Online-Gruppenprozess unterstützt werden kann? Ich nahm einige Punkte aus der Diskussion heraus und ergänzte sie.

  • Die Motivation hängt vom Themengebiet ab.
  • Eine fachlich heterogene Gruppe führt zu spannenden Diskussionen, da unterschiedliche Sichtweisen und/oder Tipps eingebracht werden.
  • Ein oder zwei zusätzliche Inputs der E-Moderatorin fördern die Bereitschaft der TeilnehmerInnen auch etwas dazu zu schreiben
  • Offene, direkte und kritische, provozierende Fragestellung regen den Diskurs an.
  • Klare Strukturen und klare Zeitvorgaben sind wichtig.
  • Moderierende Aktivitäten der Teilnehmer*innen im Kurs fördern den Austausch, etwa das direkte Ansprechen einer anderen Person, die Zusammenfassung eines Diskussionsstrang oder die Herstellung eines Bezuges zwischen den Wortmeldungen.
  • Eine gemeinsame Gruppenaufgabe schweißt die Gruppe zusammen.
  • TeilnehmerInnen sind motivierter, wenn sie eigene Themen und Erfahrungen einzubringen können.

Meine Checkliste

  • Kompetenzaufbau: Ich habe mich mit Gilly Salmon’s Ansatz der E-Moderation auseinandergesetzt – durch Besuch ihrer Website, Lesen eines Buchs, Teilnahme an einem E-Moderationskurs.
  • Desaster-Vermeidung: Ich verteile die Themen auf Präsenz- und Online-Szenarien und behandle online auch wichtige Fragestellungen.
  • Desaster-Vermeidung: Ich beginne mit einfachen Aufgaben, um die Gruppe die ersten Phasen erfolgreich durchlaufen zu lassen.
  • Desaster-Vermeidung: Als Moderatorin bin ich anfangs fast 24/7 im Kurs, damit die Lernenden sich gut betreut fühlen und sicher werden. Je mehr sich die Gruppe entwickelt, desto weniger braucht sie meine Unterstützung.
  • Motivation: Ich lade die Lernenden ein, ihre eigenen Kompetenzen einzubringen und sichtbar zu machen.

Referenzen

  • Salmon, G. (2012). E-moderating: The key to online teaching and learning. Routledge.
  • Salmon, G. (2013). E-tivities: The key to active online learning. Routledge.

Viel Erfolg bei der Implementierung und Adaption, Jutta Pauschenwein alias jupidu